Die Kohte gilt allgemein als das Zelt der Jugendbewegung. Es wäre jedoch verkürzt, die Kohte nur als praktisches Zelt zu verstehen, das sich deshalb in der Jugendbewegung durchgesetzt hat. Dass jugendbewegte Gruppen heute ausnahmslos Kohten und Jurten als ihre Zelte betrachten, ist ein Zeichen für ihre Verbindung zu nomadischen Lebensformen. Die Jurte als wohlbekannte Zeltform der Nomaden Asiens, besonders der Mongolei und die Kohte als Adaption der Zeltform der Samen Lapplands sind Zeichen für die Suche der Jugendbewegung nach ursprünglichen Formen der Fahrt. Lappland und die Samen spielen dabei eine wesentliche Rolle.

Jugendbewegung und „edle Wilde“

Die Jugendbewegung hat, wo sie sich nicht hat einnehmen lassen von offiziellen politischen Positionen, dem Weltbild des europäischen Kolonialismus, das den Anderen als „Barbaren“ abwertet, durch radikale Toleranz und Neugier für alle Anderen widersprochen. Sie hat sich für fremde Länder und ihre Bewohner, egal ob „Rote, Gelbe, Braune“, wie es im naiv gestellten Lied heißt, interessiert und hat sich mit ihnen gleichgestellt. Sie hat schließlich, in der ähnlich naiven Figur des „edlen Wilden“, ihre eigenen Ansprüche der Naturverbundenheit, des Edelmutes, der Reinheit und der Zivilisationskritik wiedererkannt.

Die Identifizierung mit den Unterdrückten und ihrem Freiheitskampf ist für Jugendliche lehrreich, kann aber in der Interpretation der Erwachsenen leicht auf Abwege führen. Ein Urbild des „edlen Wilden“ wird vom Indianer verkörpert, wie im 1929 erschienenen und in der Jugendbewegung populären Buch „Häuptling Büffelkind Langspeer erzählt sein Leben“. Im Vorwort heißt es: „Der Indianer steht dem Deutschen näher als sonst einem Europäer. Das liegt vielleicht an unserem stärkeren Hang zum Naturhaften. Neger, Eskimos, Südseevölker besitzen nicht die menschlichen Eigenschaften, um unsere Freundschaft und Hinneigung zu wecken. Der Indianer aber ist uns im Knabenalter ein Vorbild und ein Bruder; er bleibt uns später aus dem Träumen und Sehnen dieser Jahre eines unserer liebsten Erinnerungsbilder.“ Hier erkennt man in der Anerkennung eines bestimmten „edlen Wilden“ und die Abwertung aller anderen zu nationalistischen Zwecken.

tusk und die Kohte der Samen

Einen anderen Zugang zum Anderen fand die Jugendbewegung in den Nordlandfahrten von tusk. Er  befuhr die Welt des Nordlands und der darin lebenden ‚Lappen‘, die heute nicht mehr geringschätzig Lappen, sondern Samen genannt werden wollen, so wie ihr zugehöriges Land sapmi (das Gebiete Norwegens, Schwedens, Finnlands und Russlands umfasst) genannt wird. Getrieben von der Suche nach Bewährung und Vorbild zieht tusk durch Lappland. Er bekennt freimütig, das er den edlen Wilden zu finden hoffte. „Amma schien edel, vornehm, gerecht, tüchtig, wie man sich die Wilden, z.B. die Indianer vorstellt.“ Doch auch hier gibt es Enttäuschungen. Wenn der Mut auf die Probe gestellt wird, zeigt sich die „ärmliche kleine Wirklichkeit“. tusk verabschiedet sich vom Genre des „edlen Wilden“ indem er sich von der Idee der ursprünglichen Reinheit abwendet und seinen Blick auf die Lebensweise der Menschen richtet, also auf das nomadische Leben der Samen.

Er findet einen Samen, der ihn in seine Kohte als Helfer aufnimmt. Pavva Lasse Torda ist einer jener „vorbildlichen Menschen“, die den „Dienst an der edlen Sache“ anleiten können, doch ist er kein „edler Wilder“. Pavva sagt tusk nach einer Zeit der Bewährung schließlich, er sei ein „Arbeitsmensch durch und durch“ und mit diesem Urteil weiß tusk, was er „in Lappland gesucht“ hat: „Ich habe mich an einer fremden, schweren Arbeit erprobt. Ich bin selbst Nomad geworden.“ Das Leben der Samen erfordert Mut und erlaubt Bewährung. Es ist aber nicht die „Reinheit“ des „Wilden“, aus der diese hervorgehen, sondern es sind die Herausforderungen des nomadischen Lebens.

Aus der Kultur des nomadischen Lebens der Samen entwickelte tusk die neue unbehauste, naturnahe, gruppenintensive Fahrt mit dem Feuerzelt. Er entwickelte die Kohte, wie in der ZEITUNG ausführlich dargelegt wurde, aus der samischen kota. Sie machte bei der ersten Begegnung sofort großen Eindruck auf ihn: „Wir kamen an eine Kohte. Sie stand zwischen Birken verborgen. Ihr Laub reichte fast bis zur Erde. Ich betrachtete die Kohte, wie man seine eigene Wohnung beschaut. Zuerst von außen, dann traten wir ein, gaben einer uralten Greisin die Hand und einer jungen Frau. Die Lappen grüßten ‚Puörist‘, und ich tat es zaghaft auch. Wir setzten uns auf die linke Seite, die denen zusteht, die nicht zur Familie gehören. Ich hatte ja früher schon Lappen gesehen. Ich war schon schönen Mädchen begegnet und mehrmals in Erdkohten am rauchigen Feuer gesessen. Aber was ich hier sah, war mir doch neu. Ein Zelttuch, das von einer Stangenkonstruktion gespannt ist. Denkbar praktisch zum Transport! In der Mitte war ein Feuerplatz und darüber im Zeltdach ein Loch, zu dem Sonnenlicht und Nordlicht Einlaß haben. Ich versank in die Betrachtung der Dinge um mich her.“ In der Kohte entdeckt er auch selbst gefertigte Dinge des Alltags, die „zweckmäßig und schön“ sind. Diese Einfachheit bestimmt auch die Ästhetik der Jugendbewegung. Ohne Kohte würde Fahrten die Geborgenheit der kleinen Feuerrunde fehlen, könnten Gruppen ihr Heim nicht immer mit sich führen. Dazu die Landschaft des Nordens. Die Zeile „alle Rosen gäb ich gerne gegen Nordlands Steine“ im bekanntesten Lied von tusk drückt in knappster Form aus, dass Lappland für die Jugendbewegung einen ganz neuen Erfahrungsraum bedeutete.

Kolonisation der Samen

Es wäre jedoch zu einfach, bei dieser romantischen Betrachtung stehen zu bleiben. Auch tusk schimpfte über Missionare, Händler und Steuereintreiber. Er verweist damit auf den gesellschaftlichen Kontext der Kolonisation, der das Leben der Samen bis heute bestimmt. Die Samen lebten anfänglich in ganz Skandinavien und wurden erst durch Kolonisation immer weiter nach Norden gedrängt. Sie lebten keineswegs alle nomadisch, sondern auch von Jagd, Fischfang und lokaler Rentierzucht. Einen großen Umbruch brachte das 17. Jahrhundert, in dem durch die Politik der Nationalstaaten gegenüber den Samen eine ganz neue samische Gesellschaftsordnung entstand. Bis dahin ermöglichte die Ordnung der Sijddas genannten lokalen Familienverbände die gemeinschaftliche Nutzung eines bestimmten Territoriums und die friedliche Koexistenz mit anderen Familienverbänden. Im 17. Jahrhundert wurden die Samen jedoch durch ein neues Steuersystem der Nationalstaaten und eine Verknappung des Wildbestandes gezwungen diese Ordnung aufzugeben und ihre Rentierherden zu vergrößern. Erst jetzt wurden die Samen vorwiegend Rentierzüchter und die Ordnung der sameby, Dörfer, die zugleich Kooperationen von Rentierzüchtern sind, etabliert. Die Fjällsamen lebten nomadisch zwischen Atlantikküste, Fjäll (die Berge und Hochflächen) und dem bottnischen Meerbusen, während die Waldsamen in eher umgrenzten Gebieten umherwanderten und die Küstensamen sich auf Fischfang spezialisierten.

Zur gleichen Zeit verstärkte der schwedische Staat seine Bemühungen um eine Kolonisation des Nordens und entsandte Steuereintreiber, Händler, Bergbauingenieure, Lehrer und Missionare. Dazu wurden Markt- und Kirchplätze gegründet, an denen die Samen einmal im Jahr gemeinsam erscheinen mussten, um den christlichen Glauben zu bestätigen und Gericht zu halten sowie Steuern zu zahlen. Noch heute existiert in der Stadt Vilhelmina ein solcher Stadtteil mit samischen Hütten, Lappstaden, wo diese bei ihren Zusammenkünften wohnen. Zugleich wurde ihr alter schamanischer Glauben, der  in den Ritualen der  „Noajdden“ sichtbar wurde und dessen zentrales Instrument eine mit Sonne und Tieren bemalte Trommel war, aktiv bekämpft. Die Besitzer einer solchen Trommel wurden verfolgt und oftmals verurteilt. Manche Trommel wurde im Wald versteckt, die vielleicht heute noch dort liegt. Insgesamt sind heute weltweit nur noch ca. 70 Trommeln erhalten. In den Bergbaugegenden des Nasafjälls zwischen Schweden und Norwegen wurden Samen zum Transport des Gesteins gezwungen. Samisches nomadisches Leben spielte sich in der Folge immer weiter im Norden ab, während Bauern die südlichen Gebiete besiedelten. Besonders bedeutend für die Kolonisation war das System der Besteuerung, dessen Folgen noch heute wirksam sind. Als die Besteuerung auf Land im 17. Jahrhundert auf samische Gebiete ausgeweitet wurde, war damit ein Eigentumstitel verbunden: Obwohl nur nomadisch genutzt, konnte das Land vererbt und verkauft werden. Dann deutete der schwedische Staat die Steuer so, dass die Samen die Steuer nur auf die Nutzung entrichtet haben und eignete sich damit weite Gebiete und weitreichende Eingriffsmöglichkeiten an, die bis heute Protest und gerichtliche Auseinandersetzungen zur Folge haben.

Samisches Leben heute

Mit der politischen Bewegung der 1970er Jahre haben sich die Samen neuen Formen der Verteidigung ihrer Unabhängigkeit erkämpft. Sie verfügen nun über samische Parlamente, eine eigene Flagge, Radiosender, Museen und sind in Norwegen als indigene Bevölkerung anerkannt. 1993 lebten etwa 70.000 Samen in vier Ländern: 40.000 in Norwegen, 20.000 in Schweden, 6.000 in Finnland und 2.000 in Rußland. Allerdings leben in Norwegen etwa die Hälfte aller Samen in Oslo. Heute gibt es zwar auch ein samisches Zentrum in Snåsa im mittleren Norwegen, doch die großen Zentren befinden sich nördlich des Polarkreises im schwedischen Jokkmokk und noch weiter nördlich im norwegischen Kautokeino.

Aus den politischen Kämpfen ist ein neues kulturelles Selbstbewusstsein entstanden, das man an der bei offiziellen Anlässen getragenen Tracht, der Bedeutung der samischen Sprache und Musik und des Kunsthandwerks erkennen kann. Doch überlagern kulturelle Argumente manchmal politische Fragen, etwa wo es um die Überweidung des Fjälls durch zu große Herden, die heute allein der Fleischproduktion dienen, geht. Die Forderung nach einer Verkleinerung wird dann nicht als Frage der Wirtschaftlichkeit und des Umweltschutzes verhandelt, sondern als Bedrohung der kulturellen Identität. Natürlich haben in Zeiten der Esoterik und des Massen-Outdoor- Tourismus auch die Samen ihre Ursprünge als geschäftlichen Faktor für sich entdeckt. So nimmt es nicht wunder, dass manche samischen Anbieter versuchen, ursprüngliche schamanische Rituale als Touristenattraktionen zu vermarkten. Für viele Samen wird umgekehrt der Bezug auf die Tradition als zu eng empfunden und sie wenden sich von einer samischen Identität ab. Junge Samen wollen auch als Samen nicht festgelegt werden auf die Lebensformen und Traditionen des frühen 20. Jahrhunderts. Und auch die Rezeption der Jugendbewegung sollte sich nicht auf die Wahrnehmung genau dieser Traditionen beschränken, sondern sich umschauen nach erfolgreichen Weiterbildungen und aktuellen Konflikten.

Die nomadische Fahrt der Jugendbewegung

Wer heute nach Lappland fährt, wird nicht mehr das Land der 1920er oder 1960er Jahre entdecken. Rentiere sind heute ein Wirtschaftsgut, eine Ware und das Land wird viel stärker bereist als vor 50 Jahren. Die Naturparks Sarek und Muddus, die mit anderen im UNESCO-Weltkulturerbe „Laponia“ zusammengefasst sind, haben ungeheure Fortschritte in der Infrastruktur gemacht. Sie sind gleichwohl noch immer schwer zu erreichen und noch schwerer zu durchwandern. Wer sich dorthin aufmacht, kann sich noch immer als Nomade und Selbsterringender erproben. Er sollte die umgebende Natur jedoch nicht als Wildnis begreifen. Für die Samen ist das Fjäll ein jahrtausendealter Kulturraum, der alte Wege, Behausungen, Opferstellen, Nutzstellen, Fanggruben und andere für uns nicht erkennbare Spuren enthält. Es finden sich 6000 Jahre alte Rentierritzungen in den Felsen. Das nomadische Leben ist kein zielloses Umherwandern, sondern eine zielgerichtete Bewirtschaftung großer Flächen mit wild lebenden Tieren, Sommer- und Winterplätze wechseln sich ab, ähnlich wie in der alpenländischen Almwirtschaft. Das nomadische Kulturland wurde, weil es nicht landwirtschaftlich genutzt wurde, als herrenlose Wildnis angesehen, die kolonial angeeignet werden kann. Hier erweist sich die zweite Bedeutung der nomadischen Fahrt. Sie erlaubt nicht nur Erfahrungen der Selbstprüfung und Gruppenbildung, sie verändert auch die Sichtweise auf Natur. Die umgebende Natur nicht als feindliche Wildnis zu begreifen, sondern als geachteten Lebensraum von Mensch und Tier, bedeutet die Entschärfung des Konflikts zwischen Mensch und Natur. Die nomadische Fahrt ist nicht weniger als das jugendbewegte Programm zur Beilegung dieses Konflikts.

Literatur

Eberhard Koebel (tusk) „…seh ich Schwäne nordwärts fliegen“. Herausgegeben von Erich Meier, Südmarkverlag 1977. (und andere Schriften: zum Beispiel „Fahrtbericht 1929“)

ZEITUNG der Deutschen Freischar 1/2004

Die Samen. Volk der Sonne und des Windes. Herausgegeben von Ájtte. Schwedisches Fjäll- und Samemuseum, Jokkmokk 1993.

Häuptling Büffelkind Langspeer. Eine Selbstdarstellung des letzten Indianers. Paul List Verlag 1929.

Die edlen Wilden. Die Verklärung von Indianern, Negern und Südseeinsulanern auf dem Hintergrund der kolonialen Greuel. Herausgegeben von Gerd Stein, Fischer 1984.

 

Internetseiten:

Samen in Nordhessen: http://renrajd.com/

Samische Dachorganisation: www.saamicouncil.net/

Schwedisches Samen-Parlament: http://www.sametinget.se/english (auch in Norwegen)

Deutsches „Wildnisdorf“ in Lappland: http://www.solberget.com/