Adolf Reichwein – Wie der Revolver erfunden wurde

Es bestätigt sich immer wieder, wenn wir in der Welt der Er­findungen Rückschau halten: zahllose Gedanken spielen da­hin, ungezählte Hände ba­steln und versuchen, vieles fließt auch zusammen zu blei­bender Bedeutung — aber selten sind die glücklichen Stunden, wo eine wirklich neue Idee, scheinbar ohne Stammbaum in die Welt getreten, auf Umstände trifft, mit denen sie sich zu einem umwälzenden Ereignis vermählen kann. So geschah es mit der Erfindung einer drehbaren, revolvierenden Geschoßtrommel für die Pi­stole, der Erfindung des „Revolvers“. — und dies ist die Geschichte darüber:

In Texas traf der Grenzer, die Vorhut des weißen Man­nes, nur auf berittene Gegner, Indianer zu Pferde. Wir wissen, wie die rothäutigen Völker sich in der amerika­nischen Steppe mit dem Pferd verbündeten, das 1519 erst mit Cortez zusammen das amerikanische Festland betrat. Von seinem edlen arabischen Stamm hat sich wilder Nachwuchs abgesondert, der allmählich in das sich weitende Füllhorn des amerikanischen Graslandes nach Norden wanderte und dort seinen neuen Meister, den Indianer traf. Wir wissen, wie eng verwachsen Rothaut und Mustang, fast zu einem Körper und einer Seele verschmolzen, die Prärie beherrschten. Die Hirten in der Vorfront des weißen Mannes, die Cowboys und Grenzer des weiten offenen Landes westlich des 98. Längengrades, brauchten für ihren Kampf gegen den Uranspruch der Rothäute, der ein Kampf zu Pferde sein musste, eine neue Waffe. Als die Cowboys, von Osten heranziehend, Texas mit ihren Standorten durch­setzten, brachten sie ihre alten angestammten Waffen mit: es waren die Waffen der amerikanischen Pioniere von östlich des Mississippi, die langläufige Flinte vor allem, ohne die Amerikas Eroberung nicht gedacht wer­den kann. Diese Büchse war aber aus dem festen Stand zu Fuß entwickelt worden, aus dem Kampf in den Wäl­dern, sie war unbrauchbar zu Pferde. Das Laden dieser klassischen Waffe der Pionierzeit war umständlich und zeitraubend, unmöglich also in dem schnellen, überraschungsreichen Gefecht aus dem Sattel. Schwert und Lanze, die uralten Waffen der berittenen Kämpfer, kamen für den amerikanischen Grenzer, der sich, aus europäischem Waffenerbe lebend, mit Pulver und Blei durchs Land schlug, nicht mehr in Frage. Der Mexikaner brauchte die Lanze, der Indianer führte sei­nen vierzehn Fuß langen Speer. Was sollte der Grenzer mit dem alten Reiterschwert, gegen die unübertreffliche Kunst des Mexikaners, mit Messer und Lasso umzuge­hen, oder gegen den Prärieindianer, den Comanchen vor allem, dessen ganze Taktik auf der Vermeidung des Nahkampfes begründet war!

Der Pionier und Grenzer brachte also die gute alte Büchse aus dem Osten mit und die schwere Sattelpistole. Diese Pistole eignete sich schon — zum Unterschied von der Büchse — für den Kampf zu Pferde, aber selten konnte ein Mann mehr als zwei dieser Waffen mit sich führen. Sie waren nicht gerade handlich und ebenso umständlich zu laden wie die Büchse. Im besten Falle also führte der weiße Reiter für das schnelle Gefecht zu Pferde drei Schuss bei sich. Der Comanche hingegen war für den Angriff mit Lanze, Bogen und einem Köcher voller Pfeile ausgerüstet. Das gab ihm im Reiter­gefecht gegen den Texasgrenzer zunächst eine unbe­dingte Überlegenheit, drei Schüsse standen gegen vier­zig Pfeile und mehr. Brauchte der Grenzer eine Minute, um eine Waffe zu laden, so konnte der Indianer, wie uns überliefert ist, in derselben Zeit zweihundert Meter reiten und zwanzig Pfeile verschießen. Wollte der weiße Mann die Überlegenheit erringen, dann brauchte er eine Waffe, die nicht nur weiter und genauer schoss als der Bogen, sondern mit der er auch an Schnelligkeit und Beweglichkeit dem Bogenschützen gewachsen war. Es musste eine Waffe sein, mit der man zu Pferde und ohne Pause fechten konnte, sie musste schneller sein als der Bogen des Indianers und weiter reichen als sein Speer. Man kannte bis dahin nur einschüssige Pistolen, die um­ständlich, Schuss um Schuss, zu laden waren. So wurden oft kostbare Minuten verloren, die über das Leben der Männer entschieden.

Das wusste Colt, ein junger Seemann, der 1830, sechzehn Jahre alt, von Boston nach Kalkutta fuhr. Auf dieser Reise bastelte er sein erstes Modell mit revolvierender Kammer in Holz. Es war just das Jahr wachsender Spannung zwischen Mexikanern und Amerikanern in Texas. Als der Aufstand in Texas ausbrach, 1835, er­hielt Colt sein erstes Patent in England, 1836 begann die Fabrikation des Modells. Wir wissen aus der Ge­schichte der Erfindungen, dass die anscheinend nächst­liegenden und wichtigsten Stellen sich häufig am ver­ständnislosesten zeigen, und dass die Rettung der Idee in den meisten Fällen auf eine ganz unerwartete Weise und aus einer Richtung kommt, die niemand zuvor ahnte. Es gehört zu den Geheimnissen des reifenden Lebens, dass es sich auf leisen Sohlen bewegt und sich mehr aus dem Unbewussten fügt, als unsere bewusste Betrachtung oft einsehen will. So war es auch hier: die nächstliegende Stelle, von der man sofort Entscheiden­des hätte erwarten können, die Armee der Vereinigten Staaten, verhielt sich ablehnend gegen die Neuerung. Kein Wunder, dass auch die private Öffentlichkeit dann kühl blieb. Und man brauchte doch für die kostspielige Erstlingsfabrikation besondere Aufträge. Da geschah etwas Merkwürdiges. Ganz unerwartet kamen aus dem einsamen, zweitausendfünfhundert Kilometer entfern­ten Texas, das irgendwo sich wie eine Insel aus dem Ozean gestaltete, die ersten Bestellungen! Bald nach der Aufnahme der Fabrikation, 1839, müssen die ersten Revolver schon nach Texas gekommen sein, und von allem Anfang bestanden zwischen der Waffe und die­sem Lande, das eigentlich eine Welt für sich war, die engsten Beziehungen. Colt selbst nannte sein erstes Mo­dell „Texas“. Und das zweite, wahrscheinlich 1842 her­ausgebracht, trug den Namen des berühmten Grenzerkapitäns Walker. Dieser Mann traf in New York, wo er Waffen kaufte, mit Colt zusammen und machte eine Reihe wichtiger Verbesserungsvorschläge, die aus der texanischen Grenzerpraxis stammten. Mit diesen Ver­feinerungen dankte Texas Colt für eine Waffe, die dem, Lande unschätzbare Dienste leistete: die Waffe musste schwerer sein, sie brauchte, nach Walkers Vorschlägen, einen Ladehebel, damit beim Laden zu Pferde das Auseinandernehmen gespart würde, und sie brauchte drin­gend einen Bügel und den Drücker.

Im Gefecht von Pedernales wurde 1844 der Revolver Colts, von den Grenzern six-shooter genannt, offenbar zum ersten Mal in einer wichtigen Stunde gegen berittene Indianer gebraucht. Der Führer der Texasgrenzer, Ka­pitän Hays, war mit vierzehn Männern von San An­tonio zu einem Spähunternehmen gegen Indianer aufgebrochen. Schon auf dem Rückweg bemerkten sie, dass siebzig Comanches sie verfolgten. In einem verzweifel­ten, hartnäckigen Gefecht wurden einige Grenzer und dreißig Indianer getötet. Die Colts leisteten ganze Ar­beit. Der Major Caperton schrieb darüber: „Das Gefecht zeigte, dass Grenzer Indianer zu Pferde fertig machen konnten — die Pistolen gaben ihnen den Vorsprung. Dies war das erste Mal, dass sie im Treffen mit Indianern Verwendung fanden.“ Aus dem Tagebuch einer Frau, die vierzehn Tage nach dem Gefecht den Besuch von Hays empfing, erfahren wir: „Hays schob bescheiden das Verdienst an dem Sieg der wundervollen Treffsi­cherheit seiner Grenzer zu und der vollkommenen Über­raschung der Indianer durch den neuen six-shooter, den sie nie zuvor gesehen, und von dem sie noch nie gehört hatten.“

Bald danach bewährten sich die Colts in einem noch grö­ßeren Treffen abermals aufs glänzendste. Aus einer Reihe lebendiger Berichte erfahren wir von der taktisch umwälzenden und der seelischen Wirkung dieser neuen Waffe. Die Indianer schwärmten wieder, wie gewohnt, um die Grenzertruppe und versuchten sie mit der alten Taktik zu erledigen. Aber die Grenzer warfen sich, nachdem die Büchsen zu Fuß verfeuert waren, in die Sättel und begannen eine grimmige Verfolgung. Ein alter Indianerkämpe erzählt: „Niemals war ein Indianerschwarm überraschter als in diesem Treffen. Sie er­warteten, dass die Grenzer wieder in der Verteidigung bleiben würden, hofften sie dann schließlich auszupumpen und ihre Munition zu erschöpfen. Aber vergeblich suchten die Comanchen zum Stehen zu kommen und ihre Pferde herumzuwerfen. Das wilde Durcheinander von Pferden, Pistolen und brüllenden Grenzern war derart, dass sie den Gedanken an Umkehr aufgaben und ihr Heil in der Flucht suchten.“ Endlich konnten die Grenzer eine Lage ausnutzen, die sie immer gewünscht hatten, und die es ihnen erlaubte, die Indianer mit „Pulver zu verbrennen“, wie es ihnen befohlen war. Die Flucht der Rothäute war so zügellos, dass sie auf dem meilenlangen Fluchtweg Bogen, Schilde und Lanzen von sich warfen. Lange danach gestand ein Comanchenhäuptling, der an dem Treffen teilgenommen hatte, dass er nie wieder gegen Jack Hays und seine Grenzer kämpfen möchte; denn sie hätten einen Schuss für jeden Finger ihrer Hand; er habe die Hälfte seiner Krieger verloren, die zum Teil unterwegs auf dem hundert Meilen langen Rückzug zum Devils River gestorben seien.

So fassten ein Major und ein Hauptmann der alten Texastruppe in einem Briefe an Colt ihre Erfahrungen mit den Revolvern in den Sätzen zusammen: „Sie sind die einzigen Waffen, die den erfahrenen Grenzer instand sehen, den berittenen Indianer in seiner ihm angestammten Kriegstaktik zu schlagen… Wir stellen fest und sind dabei der Tatsache ganz gewiss, dass Ihr Revolver den Namen des Texasgrenzers zum Schrecken unserer Grenzindianer gemacht hat.“

Die Treffen mit den Indianern wurden nun zu förmlichen Jagden, in denen die Grenzer, ihres Erfolges völlig sicher, es mit zehn- und zwanzigfacher Überzahl aufnahmen. Die Lage in Texas, die für die Endentscheidung im gesamten Präriegürtel so wichtig war, hatte sich mit einem Male völlig verändert. Die Stunde des letzten indianischen Widerstandes hatte geschlagen. Die wundervolle, lebendige und naturnahe Kampftaktik der Indianer war durch eine mechanische Waffe aufgetrumpft worden, die mit einem Schlag einen völligen Szenenwechsel herbeiführte. Wenn auch hie und da Re­volver in die Hände der Indianer kamen — sie konnten die waffentechnische Überlegenheit auf der Seite des weißen Mannes nicht mehr ausgleichen. Das Erfinderschicksal ließ indessen auch Colt nicht ungeschoren. Die Fabrik ging, noch ehe die großen Aufträge der Prärie hereinströmen konnten, wegen Zahlungsunfähigkeit ein, die Patente wurden verkauft oder vergessen — Colt schien ein erledigter Mann. Im Grunde lag die alleinige Schuld in dem Mangel an Ur­teil bei der Heeresbehörde, die die Zukunft der neuen Waffe nicht sah. Und für den Aufbau einer so kompli­zierten Fabrikation hätte Colt große Aufträge, Heeresaufträge haben müssen. Texas allein war zu wenig. Und die nördliche Pionierfront, die sich langsam nach Westen schob, war zu jener Zeit kaum aus den Wäl­dern herausgekommen. Sie steckte also noch dort, wo notfalls zu Fuß, mit der guten alten Büchse gefochten werden musste — die Prärie, die freie Welt des berittenen Gefechts, in dem die Pistole regiert, war, vom Vorposten Texas abgesehen, noch nicht in den Entscheidungsraum zwischen Rot und Weiß einbezogen. Kurzum, es fehlte noch das mächtige Hinterland für die Auswertung von Colts Idee. So kamen, nach kurzer Glanzzeit, von 1842 bis 1847 schwarze Jahre für Colt. Aber dann — merkwürdiges Spiel des Schicksals! Wieder wirkte es dort, wo niemand es vermutete. Die Texasgrenzer sollten Gelegenheit haben, Colt den Dank zurückzuzahlen, den sie ihm schuldeten. 1845 wurde Texas der amerikanischen Union eingegliedert. Dieser Schritt löste den Krieg mit Mexiko aus, das hier alte Besitztitel und Ansprüche verteidigte. Eine amerikanische Armee marschierte nach dem Rio Grande. Die Texasgrenzer stellten sich hier geschlossen zur Verfügung und bildeten unter Hays ein eigenes Regiment. Sie leisteten als Kundschafter, der mexikanischen Taktik ebenso kundig wie der indianischen, unschätzbare Dienste. Sie machten sich unentbehrlich und standen hoch im Werte. Es war selbstverständlich, dass die Armee ihnen geben musste, was sie zur Durchführung ihrer besonderen Aufgabe brauchten. Und so kam Colts Revolver wieder ins Spiel. Das Texas-Regiment war natürlich beritten und führte Colts Pistolen am Sattel. Jetzt erst, im mexikanischen Kriege, begründete es so recht vor aller Augen, vor dem breiten Forum der amerikanischen Öffentlichkeit den Ruhm der neuen Waffe. Sie machte Legende. Da aber seit fünf Jahren keine Colt-Pistole mehr herge­stellt worden war, machte sich bald ein empfindlicher Mangel geltend. Das Texas-Regiment brauchte tausend Pistolen und setzte ihren Ankauf beim amerikanischen Kommando durch. So kam die Armee schließlich doch, entgegen ihrer bisherigen ablehnenden Haltung, in die Lage, eine größere Anzahl Colts bestellen zu müssen. Man bot Colt für die tausend Pistolen 120 000 Mark. Colt hatte längst seine letzte Pistole verschenkt und konnte kein Modell mehr auftreiben. Er musste ein neues bauen, und, wie es sich bei einem rechten Erfin­der gehört, es wurde keine Kopie des alten, sondern eine abermalige Verbesserung. Mit dem Heeresauftrag in der Tasche fand er einen Fabrikanten, und mit einem Schlage wurde die Pistole in der ganzen Armee be­kannt. Der Durchbruch in die Welt war gelungen. Und als nun die endlosen Wagenzüge der Pioniere auf den Trecks nach Westen zu Strömen anschwollen, war keiner der Männer, der nicht am Sattel seine Colt-Pistole hütete.